Donnerstag, 5. August 2010

David Prudhomme - Rembetiko [Reprodukt] ... Der Klang des kleinen Widerstands

Dass sich die Kunstform Comic hervorragend dazu eignet komplexe geschichtliche Zusammenhänge anschaulich darzustellen wissen wir spätestens seit Saccos Berichten über Palästina oder den iranischen Bildwelten von Persepolis oder Zahra's Paradise.

Möglicherweise liegt die Stärke der Comics in der Darstellbarkeit von Mikroereignissen, welche in der großflächigeren Betrachtung der Historie immer an den Rand gedrängt werden. Vielleicht ist aber auch der offene und spielerische Umgang mit Wahrheit & Dichtung, Fakt und Fiktion dieses treibende Moment, welches gerade dieser Ausdrucksform ihre unnachahmliche Wucht und Direktheit verleiht.

Reprodukt hat mit Rembetiko einen Comic, des jungen und in Deutschland noch recht unbekannten David Prudhomme veröffentlicht, welcher den bereits ausgeführten Spielarten des semifiktionalen, historischen Schreibens im Comic eine weitere Facette hinzufügt.

Die Inszenierung einer möglicherweise überprüfbaren Geschichte, deren erfundene Akteure Realpersonen ähneln, eine Geschichte, welche jedoch lieber ausschmückend erzählen will statt straffend zu dokumentieren, ein wildes Gewebe aus Text, Bild, Farbe und Licht - eine "rembetische Fantasie", wie es der Autor im kurzen Nachwort selbst bezeichnet.

Fakt ist, Prudhomme betrieb eine ernstzunehmende Recherche, machte sich mit der Kunstform des "griechischen Blues" (wie der Rembetiko oftmals bezeichnet wird) vertraut, fühlte sich ein in das polizeistaatliche Klima der Amtszeit des autoritären Generalissimus Ioannis Metaxas und arbeitete die soziokulturellen Besonderheiten dieser Musikform heraus. Kenntnisreich begann er dann mit fast träumerischer Leichtigkeit einen Comic zu Papier zu bringen, den ich in dieser Form bislang noch nicht gesehen habe.

Mühelos wechselt Prudhomme zwischen gestochen scharfen Porträtstudien, die durch ihre konkrete Linienführung an Karikaturen erinnern und einen stürmischen, nervösen, unruhigen, expressiven Strich. Seine Einarbeitung von komplexen Lichtverhältnissen ist atemberaubend, er scheint sie mit größter Leichtigkeit zu beherrschen. Egal, ob es um die Sichtbarmachung der rauchgeschwärzten Haschischhöhlen geht oder um das grelle Nachmittagssonnenlicht Griechenlands oder die Düsternis der Gefängniszellen - Prudhomme scheint einfach alles zu gelingen!

Der Comic bezieht aus dieser Verschränkung von künstlerischer Begabung, zeichnerischen Eigensinn und fundierter Recherche seine erstaunliche Dynamik, er wirkt nie gehetzt, obwohl komplexes verhandelt wird. Der dargestellte Tag der Athener Subkultur im Jahre 1936 entwirft ein detailliertes Tableau von korrespondierenden Kleinstereignissen, es geht nie nur um die ständig bekifften Strassenmusiker, die der neuen Regierung als Sündenböcke dienen sollen, sondern immer auch um die Möglichkeit des Protestes gegen Normierungen.

Prudhomme erzählt raffiniert von der zunehmenden Isolierung (und Kommerzialisierung) dieser Subkultur, welche möglicherweise wie keine andere die musikalischen Traditionen des Okzident und des Orient miteinander verwoben hatte. Der Kampf gegen diese Form der grenzenlosen Musik ist also mehr als nur die Attacke auf diese offensichtlich unterwerfungsmüden Lebemenschen. Sondern (möglicherwiese sogar vorallem) ein Angriff auf eine alternierende kulturelle Äußerung, welche das neue und ausschliessende Ideologiekonzept des nationalistischen Griechenlands nicht mehr anerkennen will, trotz einer tausendjährigen Tradition von gegenseitiger kultureller Befruchtung und Überlappung.

Es gelingt Prudhomme innerhalb seiner "rembetischen Fantasie" komplexe gesellschaftliche Wandlungsprozesse abzubilden, ganz ohne dabei verkopft, bemüht oder gar steif zu wirken. Das elegante Seitenlayout wird durch das eingesetzte Handlettering nochmals gestärkt, welches die Schrift in den Verlauf sanft einbettet, statt durch die Verwendung einer Computertype den Eindruck bereitwillig zu zerstören.

Kurz gesagt: Ein eleganter Comic, der vorallem durch die raffinierten Lichteffekte überzeugt, der bei aller Fiktionalität immer die bittere Realität der Akteure im Hinterkopf behält, nicht übermäßig romantisiert und dessen Figuren man sicherlich nicht so schnell vergisst.

Selten machte ein Comic eine ganze Szene so sinnlich erfassbar, das Anschlagen der Saiten, das bekiffte Kichern des Publikums, welches trotz aller Härte des Milieus immer nur feiern will, die fast schon körperlich fassbare Bedrohung durch die Schergen der kulturell normierenden Polizei - all dies wird auf den 102 großformatigen (DIN A4) Seiten abgebildet. Ich würde mich sehr freuen, wenn diese Form der geschichtlichen Bearbeitung Nachahmer finden würde, auch wenn es schwer sein wird, diesem grafischen Leckerbissen das Wasser abzugraben.

Richtig, ich gebe eine Flaneurempfehlung, wegen des eigenständigen Themas, wegen der sichtbar guten Recherche und wegen der Weigerung Subkulturen totzuschweigen. Prudhomme ist ein wichtiger Botschafter gegen das Vergessen und ein noch besserer Beobachter aktueller Ereignisse, denn die Strukturen, welche im Comic angegriffen werden sind sicherlich nicht nur im 1936er Athen zu finden.

Ihr könnt den Comic entweder in alle gut sortierten Comicläden beziehen - aslso bei uns :D er kostet runde 20 Euro. Um euch jetzt noch ein bissl mehr in Richtung Entscheidung zu schubsen, hier noch als Leseprobe die ersten 10 Seiten des Comics.