Mittwoch, 15. Dezember 2010

Warren Ellis / Paul Duffield: Freakangels #01 [Panini] London brennt nicht mehr. Notizen nach dem Ende der Welt.


Warren Ellis war ja schon immer für seine eigensinnigen Figuren bekannt, sei es nun Spider Jerusalem, Miranda Zero oder Paul Moses. Seine Charaktere legten stets ein gewisses Quantum Wahnsinn an den Tag und überzeugten bei ihren Irrsinnstaten durch ihre grandiose Konsequenz.

In seinem neusten Teufelsstreich existiert zwar keiner dieser "Ich geb weder was auf deine bescheidene Meinung noch auf deine imposante Bewaffnung"-Typen, aber er beweist, dass er diese Kraftmenschen auch nicht benötigt.

Vielmehr verteilt er den gebündelten Irrsinn auf zwölf Figuren, Mutanten versteht sich - die in ihrer Exzentrik verdammt spassig sind. Zwölf Extremisten, zwölf schräge Vögel - oder wie er sie nennt - FreakAngels.

Angesiedelt ist das erzelegante Szenario in einem postapokalyptischen London, bei dem große Teile der Stadt überflutet sind und man sich in guter alter Steampunkmanier mit dampfgetriebenen Gefährten fortbewegt. Dort haben sich die zwölf mental Hochbegabten (die indirekt den Ruin der alten Welt zu verantworten haben) als eine Art Beschützerkaste etabliert, welche den wenigen Überlebenden das Leben zu vereinfachen gedenkt.

Die Gruppe ist natürlich nicht frei von internen Konflikten, manch einer der 12 mag den anderen Mentalisten nicht wirklich leiden. Es herrschen Spott, Mißgunst, Bosheit und Faustrecht, aber man steht als Mutant schlussendlich doch klar zum anderen Violettäugigen, obwohl man die Menschen zu schützen gelobte. Eine Dynamik, die sicherlich noch sehr fruchtbar sein wird, in der Fortführung der gruppenspezifischen Prozesse.

Einer der 12 ist auch abtrünnig und nicht nur hier kommt eine gewissen christliche Konnotation zum Tragen, der Verräter, der Judas, der der die Gruppe zu zerschlagen gedenkt ... nun warten wir ab, wie Ellis seine Version der Apostelgeschichte zu Ende bringt.

Klar könnte man jetzt auch sagen - 12 Mutanten, im Familienbetrieb angestellt? - wie öde, das selbe Szenario hat doch die Umbrella Academy-Abschlussklasse auch schon durchgehechelt. Schon richtig, aber Ways durchaus amtliche Schreibe kann es nicht mit der des alten Hasen Ellis aufnehmen. Er beherrscht die Klaviatur der Persiflage einfach überlegener, tonangebender eben. Ellis doppelbödigen und gebrochenen Narrationen waren nicht ohne Grund jahrelang stilbildend. Und hier wird es ähnlich sein.

Insbesondere, weil der netzaffine Autor nochmals Neuland betritt. Nach seiner konsequenten Rechtesicherung von Transmetropolitan, greift er erneut die verkrustenen Strukturen von schwerfälligen Verlagsdinosauriern an. FreakAngels wurde komplett als Netzcomic veröffentlicht und erst im zweiten Schritt in haptischer Form publiziert.

Ausserdem ging Ellis das Wagnis ein, nicht mit einem der großen Namen zusammen zu arbeiten, sondern mit einem kompletten Niemand. Und wenn man sich mal den Backkatalog von ihm anschaut, kann man ermessen, dass es für ein leichtes gewesen wäre prominentere Unterstützung zu finden. Aber der Brite scheint einfach auf die gemeinsame Vision mehr Wert zu legen und so kam Paul Duffield ins Spiel.

Dieser kommt eigentlich aus der Mangaecke, was seinen Zeichnung einen gewissen Chic verleiht, den man bei den anderen Serien des alten Meisters bisher nicht entdeckte. Insbesondere seine reduzierten, fast nur skizzierten Hintergründe wissen zu gefallen. Und natürlich bot sich ein solcher entschlackter, schlanker und wendiger Zeichenstil an, bei der Prämisse einen Netzcomic zu schaffen.

Ich finde die beiden harmonieren sehr gut und ich freu mich schon darauf (nachdem ich den ersten Band vor ein paar Tagen wirklich rasch vernascht hab) den Rest der Storyline papierlos nachzulesen. Denn auf myComics.de wird FreakAngels gegenwärtig exklusiv veröffentlicht, bisheriger Publikationsstand: Episode #42 - hier findet ihr Episode 1-6.

Wer jetzt aber ein bekennender Haptikfundamentalist ist wie ich, der kann in beiden Filialen für 16,95 Euro den ersten deutschen Sammelband erstehen. Ich würde mich freuen, wenn Ellis mit dieser Serie nochmals ein solches Monument gelingen würde wie bei Transmetropolitan oder Global Frequency. Die Zeichen stehen gut!