Montag, 23. Juli 2012

Französiche Comics - Bandes dessinées


Wir haben wieder einen kleinen aber feinen Schwung französischer Comics reinbekommen, worunter sich unter anderen zwei prächtige nachbestellte Moebius-Titel befinden, die in keinem ernst zu nehmenden Sammlerregal fehlen dürfen: "Chaos" und "Le garage hermétique".

€ 24,90

€ 29,90


Ganz frisch ist die Abhandlung über Stadtdarstellungen und urbane Szenen im  Manga "Mangapolis - la ville japonaise contemporaine dans le Manga", deren Erscheinen wir bereits angekündigt und in einem älteren Blogeintrag bereits besprochen hatten. Dieser wunderschöne Katalog voller unterschiedlicher Stadtdarstellungen dürfte Japanfans, Mangabegeisterte und alle, die mit Architektur und Städteplanung zu tun haben, gleichermassen begeistern!

€ 23,90


Dann möchten wir auf Benjamin Flaos "Kililana Song" hinweisen, eine graphisch lichtdurchflutete Erzählung um eine harte kenjanische Kindheit, in der sich der kindliche Held, Naim wie Tom Sawyer gegen die Erwachsenenwelt in dem Hafenstädtchen Lamu durchschlagen muss - ein Augenschmaus!

€ 22,80


bon appétit!

Comics & Literatur (2v3) - Nietzsche


Heute stelle ich euch mit Nietzsche von Michel Onfray & Maximilien Le Roy den zweiten Titel des Comics & Literatur-Specials vor. Den ersten Titel dieses Triples findet ihr hier (1v3).

 Die Stoßrichtung dieser illustrierten Annäherung an die literarische Sphären Nietzsches ist eine gänzlich andere. Während Straboni & Maurel mit den biografischen Details ihres Porträtierten Schabernack trieben, zielen die Autoren dieses Titel auf eine sehr wirklichkeitsnahe Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte des (zu Unrecht verfemten) Autors.
 
Die Poesie des Übermenschen blieb nicht vor dem ideologischen Zugriff der Rassisten der Nationalsozialismus verschont. Dies ist auch der fragwürdigen Editionsgeschichte des literarischen Ouevres durch Nietzsches ariosophische Schwester Elisabath Förster-Nietzsche geschuldet.
 
Fraglos boten sich zahlreiche Formulierungen an, um das herrenmenschliche Ideengebäude der Ariosophen zu stützen - allerdings musste hierzu jeglicher Kontext entfernt werden. Nietzsche Vorbehalte gegenüber der jüdischen Kultur speisten sich ausschliesslich aus seiner nahezu grenzenlosen Abscheu vor der theologischen Überlieferung. Diese Angriffe galten aber nicht nur dem jüdischen, sondern auch dem christlichen Glauben, da beide Bekenntnisse in einer klaren Traditionslinie zueinander stehen. 
 
Als Kind seiner Zeit agitierte Nietzsche in aller Schärfe und wortgewaltig gegen die Übermacht der theologischen Deutungen im öffentlichen Diskurs. Seine lebensphilosophischen Entwürfe zielten auf eine gedankliche Orientierung ab, die keinerlei außerweltliche Sinnstiftungsmomente mehr benötigt. 
 
Dass die aggressiv-vitalistischen Strukturen der NS-Ideologeme hierzu Schnittmengen aufwiesen überrascht nicht, dennoch kann man Nietzsche nicht als Gründungsfigur dieser abgründigen Ideen verurteilen, wie dies insbesondere die Germanistik der DDR tat. Dies wäre absurd.
 
Michel Onfray, der als der profilierteste Nietzschekenner Frankreichs gilt, unternimmt jedoch nicht nur den Versuch Nietzsches Werk (und die Person) reinzuwaschen von diesen unrichtigen Zuschreibungen. Vielmehr versucht er auch die zerrissene Person hinter dem mit dem Hammer argumentierenden Philosophen sichtbar und verständlich zu machen.
 
Das manische, wechselhafte Wesen Nietzsches ist bekannt - zahllose Autoren versuchten diese impulsive Zerissenheit zu einer widerständigen Qualität umzumünzen. Dieser Zuschreibungstradition entzieht sich Onfray gekonnt. Er schreibt keine Heldengeschichte des Irrsinns, sondern inszeniert geradlinig das Leiden dieses Autors. Leider muss man ihm gerade hier den schärfsten Vorwurf machen. Er schreibt als intimer Kenner und mit dem Werk Vertrauter ...
 
... für Außenstehende bleiben von ihm gewählten Stationen des Lebenswegs Nietzsches leider unverständlich. Der Comic ist ohne ein umfangreiches Vorwissen leider nicht zu erschliessen. Diesem Defizit hätte mit einem geringen editiorischen Mehraufwand begegnet werden können, eine kurze biografische Notiz oder eine knappe Zeittafel hätten genügt. Weshalb der Verlag / der Autor sich gegen dieses Vorgehen entschlossen hat, erschliesst sich mir nicht.
 
Abseits dieser inhaltlichen Kritik muss ich den Titel für seine überwältigende grafische Ausdruckskraft loben. Le Roy, dessen eindrucksvollen Arbeit ich schon in der Besprechung von "Die Mauer" würdigte zelebriert hier ein pastellfarbenes Wechselspiel aus Licht & Schatten, welches seinesgleichen sucht. 
 
Der junge Zeichner schildert eindruckvoll, wie Nietzsche immer tiefer in seine mentalen Krisen hinabsinkt, keiner der expressiven Striche ist falsch gesetzt, nichts ist überflüssig oder gar plakativ. Die Porträtstudien, die den strauchelnden Denker während der Verdunkelung seines Genies zeigen, sind einprägsam und lassen auf ein sehr emphatisches Arbeiten schliessen.
 
Die visuelle Umsetzung setzt bewusst auf eine textarme Adaption - nur wenige, verdichtete Dialoge strukturieren den Comic, manche Seiten bleiben völlig textfrei. Und genau hier liegt der Knackpunkt dieser Adaption. Zeichnerisch und dramaturgisch wird hier eine eindrucksvolle Leistung präsentiert, dem Zeichner kann keinerlei Vorwurf gemacht werden.
 
Aber gerade aus dieser radikalen Verdichtung speist sich die Unzugänglichkeit des Textes. Diesen Mangel muss man Onfray zuschlagen, er wäre als Storyboarder und Skripter verpflicht gewesen für eine bessere Verständlichkeit zu sorgen, hier scheitert der Experte leider an seiner Textgestaltung. 
 
Liest man eine der zahlreichen Biografien Nietzsches parallel zum Comic, werden alle gewählten Ausschnitte nachvollziehbar, aber leider kann der Autor nicht annehmen, dass jeder Leser bereit ist diese Mehrarbeit zu leisten. Dabei hatte er sämtliche relevanten Bruchstellen der Biografie aufgegriffen und aufgearbeitet. 
 
Das Lossagen von den wagnerischen Ideen,  der Verlust der Basler Professur, die unglückliche Liebe zu Lou von Salomé, der von Nietzsche als traumatisch erlebte Tod der Mutter, der fortschreitende geistige Verfall und die andauernden Konflikte mit seiner Schwester um die Deutungshoheit seiner Schriften. All dies findet sich in den knappen Texten wieder - jedoch leider so stark codiert, dass dieser Comic eine Lektüre von Sekundärliteratur unumgänglich macht.
 
Als Resümee kann gesagt werden, dass der Comic ein visuelles Meisterwerk ist, für Kenner der biografischen Eckdaten Nietzsches. Allen anderen, neugierigen Leser kann ich für eine befriedigende Lektüre nur anraten, zunächst etwas Recherche zu betreiben. Diese gekonnte Annäherung an den missverstandenen Denker sollte sich aber, aller Kritikwürdigkeit des Vorgehens zum Trotz, niemand entgehen lassen.