Dienstag, 18. November 2014

Winterjules: "Mr. Origami (Oder: "Lies vorher bevor du vorliest")

Es gibt ja diese Vorkoster-Helikoptereltern-Mentalität immer alles vorher selbst ausprobieren zu müssen, bevor man es seinen Kindern vorsetzt.
Zum Beispiel: Kultur!

An einem Samstag, dem 4.Oktober (also wenn anständige Bundesbürger nicht nur ihren Rausch ausschlafen sondern dem Nachwuchs Kultur zukommen lassen - ob der Nachwuchs jetzt will, oder nicht), da fand im tiefsten Prenzlauer Berg in einer kleinen Buchhandlung am Helmholtzplatz eine Kinderbuch-Lesung statt! Gelesen vom Autor selbst! Timo Parvela liest höchstpersönlich aus dem neuesten Werk seiner überaus erfolgreichen Ella-Serie! (Ist tatsächlich enorm populär bei den hiesigen Blagen, weswegen der Laden trotz Super-Wetter & langem Wochenende gerammelt voll war.)

Jedoch! Der Autor ist Finne, kann kein Deutsch und las vor - auf finnisch. An dieser Stelle offenbarte sich das ganze Elend unser G4/G6/G6+ [Anmerkung Grundschule für 4 Jahre, 6 Jahre oder eine Bonusrunde für Einschulung mit 5 Jahren]! Keines der Kinder konnte finnisch!

Nicht ein-einziges-Kind antwortete verbal auf die freundliche Nachfrage des Autors nach einer Seite "Habt ihr das verstanden?" Die waren alle nur in Schockstarre. Aber der Autor, der anscheinend doch ein wenig Deutsch konnte, ließ sich nicht entmutigen: "Ah! ich war zu leise. Ich lese lauter!" gefolgt von einigen sehr lauten finnischen Sätzen. "Habt ihr das verstanden?" Diesmal erntete er zumindest ein allgemeines Kopfschütteln. "Ahhhh! Ich weiß. Ich lese l-a-n-g-s-a-m-e-r!"

Was dann folgte erinnerte einige der anwesenden Eltern an "Rückwärts-Abspielen-mit-verringerter-Geschwindingkeit-von-Rolling-Stones-LPs-in-Hoffnung-auf-Geheimbotschaften" Nur lauter eben. Klappte damals so gut wie heute. Aber danach hatte der Autor ein Einsehen "Ah. Das Buch ist kaputt" und lies seine entzückende Dolmetscherin aus der deutschen Übersetzung vorlesen. Kam gut und alles entspannte sich. Kind wollte plapperte auf dem Heimweg sogar es wolle finnisch lernen, die hätten bestimmt coole Schimpfwörter.
(Der Autor las übrigens aus "Ella ja kaverit juhlatuulella" Was ja allein vom Wortklang her viel ansprechender ist als "Ella und ihre Freunde ausser Rand und Band".)

War also gut gegangen.

Was so gar nicht gutging war dagegen mein Erlebnis mit

Mister Origami
von Bastian Baier & Robert Mühlich


Also das ist ein gutes Buch aber … es ist kein Kinderbuch. Es ist zumindest kein Buch dessen Kindheit nicht in den 80ziger Jahren stattgefunden hat. Und wenn man das dann vorliest [die Kinder hatten den Neuerwerb gesehen und quengelten, sie wollten vorgelesen haben], also vorliest ohne es vorher selbst gelesen zu haben. Dann geht das schief.

Es ist vielleicht nicht so unverständlich wie finnisch, aber es macht einfach keinen Sinn: Der Vorleser lacht sich scheckig und die Zuhörer kapieren einfach nicht "warum". Dieses "warum" dann zu erklären ist mühselig und ehrlich gesagt erfolglos. Man müsste den ganzen Kontext rüberbringen, das ganze Feeling dieser Zeit. Und Witze erklären ist eh doof.

Aber wenn ihr keine Kinder habt - oder wenn eure eigene Kindheit +/- 10 Jahren mit den Achtzigern verknüpft ist - der größte Karateka werden wolltet, im Dojo geschlafen und ihr Sinn für schrägen Humor habt - DANN ist das euer Buch! Kaufen, sagt SENSEI!

Jules